Sie finden den Titel ein „olle Kamelle“? Aber Sie kennen – hoffentlich – Donald Trump, der es bekanntlich mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Was er twittert – und das tun mittlerweile Zigtausende wie er – stimmt mit der Wahrheit selten überein, sodass sich dafür der englische Begriff „Fake News“ eingebürgert hat. Nun ist Trump Geschichte, doch das ist nicht das Ende der Fake News. Was also ist die Wahrheit? Bestenfalls dasjenige, was sich hieb- und stichfest überprüfen lässt. Vor Gericht ist es – vereinfacht gesagt – die Aufgabe des Richters, die Wahrheit herauszufinden, um ein gerechtes Urteil fällen zu können. Dennoch sind Fehlurteile möglich, weil auch Richter nur Menschen sind. Der Theologe Paul Tillich sagt es so: „Gott ist die Wahrheit. Wir können sie nicht besitzen. Wir können nur versuchen, ihr möglichst nahezukommen.“ Er schreibt in seinem kleinen Büchlein ‚Auf der Grenze´ weiter: „Die der Wahrheit am nächsten kommen, sind die Zweifelnden und die Suchenden“(„Chrismon“-Magazin 10/2020). Die Wissenschaft kennt das Problem seit alters her. Die Wahrheit der Erkenntnis speist sich aus Zweifel und Suche. Gilt das auch für unseren Alltag? Kann man zwischen echt und „fake“ messerscharf unterscheiden, oder gibt es etwas dazwischen. Der Literaturwissenschaftler E. Schilling schreibt im gleichen Heft: „Eine gewisse Toleranz für Vieldeutigkeit hingegen behält neben dem offensichtlichen Urteil (über eine Sache oder eine Person, d. V.) auch andere Möglichkeiten [.] im Blick.“ Soweit die Theorie, versuchen wir die praktische Sichtweise: Wem kann ich vertrauen? Wem glaube ich eine Äußerung? Oder anders gesagt, ich vertraue demjenigen, dem ich – wenn Gott die Wahrheit ist – einen „göttlichen Funken“ zutraue, weil er oder sie mich nicht absichtlich hinters Licht führen will. Im Umkehrschluss heißt das, dass der Betrüger des Teufels ist. Nur noch einmal: Woher weiß ich das? Lenin, der Gründer der Sowjetunion, hat einmal gesagt: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Aber wollen wir das wirklich, einen Staat, der ständig kontrolliert, oder Mitmenschen, die ständig misstrauisch reagieren? Misstrauen sät Angst – Angst, dass ich belogen werde, Angst, dass mir die Wahrheit vorenthalten wird. In solch einem Klima gedeiht keine Menschlichkeit, und Vorsicht, ich rede keiner Form von Naivität das Wort. Wahrheiten finden sich meistens in der Diskussion, im gesunden Streit über den besten Weg, den man gehen kann. Nicht nur in der Politik, sondern auch im Miteinander sind Überzeugungen gefragt, die auf – hoffentlich guten – Argumenten beruhen. Nur wird heutzutage leider nicht mehr ernsthaft diskutiert, sondern oftmals polemisiert. Klimawandel? Alles Panikmache! Maskenpflicht? Alles Blödsinn! Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Der nächste Gedanke mancher Menschen: Der oder die will sich nur wichtigtun – ein Besserwisser! So etwas lasse ich mir nicht gefallen . Der Ton in der Gesellschaft ist rauer geworden, das ist unübersehbar. Aber warum ist das so? Die aus geschichtlicher Sicht hart erkämpfte Individualität, die Freiheit so zu leben, wie man möchte, stößt an ihre Grenzen. Die angebliche Beschneidung dieser Freiheit in der Coronakrise wird als falsch empfunden. Ich soll eine Maske tragen? Ich darf nicht mehr feiern, wie ich will? Ich darf nicht in die Kneipe? Ich soll mit meinem Auto – meinem Statussymbol – verantwortungsvoll umgehen? Ich lasse mir nichts verbieten!! Keine Maske, Autofahren so viel ich will, das Klima ist mir egal – Hauptsache ist, dass ich mein Leben so leben kann, wie ich will! Die Wahrheit wird geleugnet oder verdrängt: Das will ich gar nicht wissen. Das geht mich nichts an. Oder viel schlimmer: Das sind alles Behauptungen von Leuten, die mir mein (bisheriges!) Leben vermiesen wollen. Sich zu fügen, sei es im Sinne von Gottes Wahrheit, oder viel einfacher im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Umkehr zu neuen Lebensformen wird als Strafe empfunden! Zweifel an meinem bisherigen Leben? Suche als Umkehr? Nicht mit mir! Und hier kommt wieder „der böse Staat“ ins Spiel, denn er kontrolliert doch in Form von Adresszetteln, die auszufüllen sind, oder durch Polizisten, die die Einhaltung der Vorschriften überwachen. Lenin meinte es bekanntlich anders, denn er wollte die Menschen in der damaligen Sowjetunion zu politisch gefestigten Kommunisten erziehen. Wenn heute der Staat eingreift, dann hat er die Medizin auf seiner Seite. Und er will die Menschen vor todbringenden Krankheiten schützen. Das ist die Wahrheit, auch wenn sie in den Auswirkungen als unbequeme Bevormundung empfunden wird. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass Menschen „erzogen“ werden müssen, wenn sie sich nicht an die Vorschriften halten. Um es noch einmal deutlich in Erinnerung zu bringen: Die individuelle Freiheit hat dort ihre Grenze, wo das Allgemeinwohl auf dem Spiel steht. Wer das als Geschwafel abtut, hat die wissenschaftliche Medizin nicht verstanden oder will sie nicht verstehen, weil der eingangs erwähnte „göttliche Funke“ nicht gezündet hat. Wer dies als Spinnerei abtut, verleugnet jegliche Nächstenliebe – oder Solidarität, ganz gleich, wie man es nennen möchte.
Bleiben Sie gesund und stets auf der Suche – nach der Wahrheit.
Manfred Stoppe