Der Advent und die Weihnachtszeit liegen hinter uns, das neue Jahr hat uns wieder, und theologisch liegen die Vorfastenzeit und die mit Aschermittwoch beginnende Fastenzeit mit dem abschließenden Triumph des Osterfests vor uns.
Ich nehme etwas aus der Adventszeit mit in dieses neue Jahr. Mit Freude lese ich den „Anderen Advent“, der ab dem Vorabend zum Ersten Advent bis zum Epiphaniasfest mit einem Text oder Bild durch die besondere Zeit führt (übrigens ist dies auch in der Fastenzeit mit der Broschüre und den sieben Fastenbriefen, die Sie sich von „Andere Zeiten“ schicken lassen können, möglich: www.anderezeiten.de/bestellen).
Zwei Texte aus dem „Anderen Advent“ hatten mich besonders berührt, und so habe ich mir die Bücher, aus denen zitiert wurde, als Lektüre „zwischen den Jahren“ gegönnt.
Zum einen Michelle Obamas Buch „Das Licht in uns. Halt finden in unsicheren Zeiten“; darin: „Was wichtig ist“. Sie beschreibt und vergleicht den Neuanfang von Unternehmungen und Aufgaben mit dem Stricken, und ich ahne, dass jede Art des handwerklichen Fertigens in Geduld, in Konzentration und auch in die eigene Mitte führen kann. „Wer etwas Neues in Angriff nimmt, weiß nicht immer, wohin die Reise sie und ihn führen wird. Mit dieser Ungewissheit muss ein Mensch klarkommen. Beim Stricken schlägt man die erste Masche an und folgt der Anleitung – eine Abfolge von Buchstaben und Zahlen… Mithilfe der Anleitung weiß man, wann man welche Masche wie strickt, und es dauert meist eine Weile, bevor das Muster zu erkennen ist. Bis es soweit ist, bewegt man die Hände und folgt der Anweisung. Es ist gewissermaßen ein Akt des Glaubens… Beim Stricken genau wie bei vielen anderen Dingen im Leben erhält man eine umfassendere Antwort auf Fragen, indem man eine Masche an die andere reiht…“ Also: bei allen Neuanfängen in diesem Jahr, bei allen Aufgaben im Persönlichen, im Familiären, in der Gemeinde, im gemeinsamen Unterwegs-Sein: „Masche für Masche“ – mit Vertrauen und Geduld… – Anfangen im Kleinen – einander motivieren, nicht aufzugeben, wenn Maschen aufgeribbelt werden müssen, weil wir uns im Leben, in den entschiedenen Mustern „verstrickt“ haben… Das Ziel im Blick behalten, dass das Resultat passen soll – zu uns, zum Menschen, zur Gemeinschaft: ästhetisch, wärmend an Leib und Seele… Vielleicht müssen auch so manches Mal eigene Muster entworfen werden – individuelle, nicht nur nach Anleitung, sondern nach Lebens- und Gemeinschaftsform!
Zum Zweiten war ich ergriffen von Hartmut Rosas Umschreibung der „Unverfügbarkeit“. Der Soziologe beschreibt anhand des Schnees die Faszination des Unverfügbaren: „Der Schneefall ist geradezu die Reinform einer Manifestation des Unverfügbaren: Wir können ihn nicht herstellen, nicht erzwingen, nicht einmal sicher vorhersagen, jedenfalls nicht über einen längeren Zeitraum hinweg… Wir können des Schnees nicht habhaft werden, ihn uns nicht aneignen: Wenn wir ihn in die Hand nehmen, zerrinnt er uns zwischen den Fin-gern, wenn wir ihn ins Haus holen, fließt er davon, und wenn wir ihn in die Tiefkühltruhe packen, hört er auf, Schnee zu sein… In unserem Verhältnis zum Schnee spiegelt sich das Drama des modernen Weltverhältnisses wie in einer Kristallkugel: Das kulturelle Antriebsmoment jener Lebensform, die wir modern nennen, ist die Vorstellung, der Wunsch und das Begehren, Welt VERFÜGBAR zu machen. Lebendigkeit, Berührung und wirkliche Erfahrung aber entstehen aus der Begegnung mit dem UNVERFÜGBAREN… Das Leben vollzieht sich als Wechselspiel zwischen dem, was uns verfügbar ist und dem, was uns an Unverfügbarem bleibt, uns aber dennoch etwas angeht“. Harmonie, Glücksmomente, erfüllte Begegnungen lassen sich nicht kalkulieren, bis ins Letzte strukturieren – wir wissen das und üben uns doch jeden Tag aufs Neue ein in dieses Unverfügbare – theologisch vielleicht auch als heiligen Moment zu bezeichnen, der uns leben lässt.
Beide Literaturtipps, die sich aus dem Anderen Advent für mich ergeben, nehme ich mit auf die „Reise“ durch dieses Jahr – und ich freue mich, dieses Jahr mit Ihnen in unse-rer schönen Gemeinde gehen zu dürfen – mit großem Dank an alle, die sich einbringen füreinander, für die Gemeinschaft, für Menschlichkeit, für Zusammenhalt: Masche für Masche und mit Achtsamkeit im Hinblick auf das „Unverfügbare“ im Miteinander, in der Vielfalt und Buntheit! Nichts und niemand ist selbstverständlich. DANKE! Seien Sie behütet!
Ihre Pastorin Birgit Rengel