Schon beim Anflug auf die Mittelmeerinseln Korsika machen wir die erste bemerkenswerte Kurve: Fliegt man nämlich den kleinsten Flughafen Calvi an, muss der Flieger kurz vor der Landung noch eine quasi 180°-Kurve in einem Gebirgstal drehen. Dass dies ein Vorgeschmack war für die Rundtour, die meine Schwester und ich machen wollten, wurde uns kurze Zeit später bewusst. Wir haben uns zum Glück einen Kleinwagen gemietet, sodass wir auf den schmalen Straßen und in den engen Kurven gut zurechtkamen. Unser erstes Übernachtungsziel war Bastia mit einem anschließenden Abstecher zum Cap Corse. Auf dem Weg dorthin entdeckten wir wunderschöne Fischerdörfchen oder auch hübsche Städte wie zum Beispiel Saint-Florent, das mit seinen Boutiquen, der schönen Strandpromenade und den luxuriösen Yachten an mondäne Mittelmeer-Städte auf dem Festland erinnert. Bis Saint-Florent fährt man aber durch die teilweise sehr menschenleere und zuweilen raue Landschaft der Désert des Agriates. Kurz nach Saint-Florent steigt das Gelände schnell an und man muss den Kamm, der zum Cap Corse führt, überwinden. Überall sieht man mehr oder weniger freilaufende Rinder, die sich teilweise als geschickte Kletterer an den Hängen erweisen. Vor allem sieht man insbesondere in dieser Gegend besonders häufig zerschossene Verkehrsschilder. Wir dachten zunächst, dass hier die Dorfjugend sich an Schießübungen versuchte. Da aber grundsätzlich nur der französische Name der Dörfer auf den Schildern zerschossen ist und der in der korsischen Sprache nicht, wird es wohl eher mit den korsischen Separatisten zu tun haben. Denn die Korsen sind doch ein recht eigensinniges Völkchen und wehren sich teilweise mit üblen Terroranschlägen gegen den französischen Staat oder Ferienwohnungskomplexe. Diesem trotz allem zweifelhaften Engagement ist es zu verdanken, dass man hässliche Riesenkomplexe von Hotelanlagen, wie man sie ansonsten an vielen Mittelmeerküsten findet, auf Korsika zum Glück nicht sieht. In Bastia angekommen, erlebten wir einen ständigen Wechsel zwischen dem maroden Charme z.B. rund um den Yachthafen oder dem mediterranen Flair z.B. auf dem Place Saint-Nicolas. Auch hier beeindruckte die mächtige Zitadelle, die eine eigene Festungsstadt mit Bars und Restaurants ist. Nächste Etappe unserer Reise war Aléria an der Ostküste, quasi auf der Hälfte zwischen Cap Corse, dem nördlichsten Punkt und Bonifacio, dem südlichsten Punkt. Dort hatten wir ein wunderschönes Hotel, das die Zimmer um einen tollen Pool angelegt hat. Hier ist die Landschaft relativ flach und man kann gut Strecke machen. Das änderte sich schnell auf unserem Weg nach Corte, der ehemaligen Hauptstadt Korsikas. Die Straßen winden sich die Berge hoch und wir mussten immer wieder teilweise sehr schmale Brücken überfahren, die eindrucksvolle Gebirgsflüsse überqueren. Corte ist die einzige Universitätsstadt Korsikas und hat eine hübsche Altstadt. Wir hatten in einem urigen Felsenkeller ein leckeres korsisches Menü zu Mittag gegessen: Vorweg verschiedene Schinken- und Wurstsorten vom korsischen Schwein, was hier halbwild in den Kastanienwäldern gehalten wird. Als Hauptgericht gegrillte Dorade und zum Nachtisch noch ein Stückchen Kuchen aus Kastanienmehl. Es war sehr lecker und sehr reichlich. Umso verwunderter war ich, als Christiane dann trotzdem fürs Abendbrot gleich noch eine Pizza kaufen wollte. Dass sie weise gehandelt hatte, wurde erst später klar. Denn unser Hotel für die Nacht befand sich auf halbem Weg zwischen Corte und Porto, was bereits an der Westküste liegt. Dass das Dorf, in dem wir übernachten wollten, sogar mitten im Gebirge lag und wir dafür immer höher und höher fahren mussten, wurde uns erst nach und nach bewusst. Viel mehr als das Hotel, was gleichzeitig auch einzige Tankstelle weit und breit war, gab es dann auch nicht. Keinen Supermarkt oder gar ein Restaurant. Die Madame des Hotels machte uns auch gleich sehr deutlich, dass wir vor 9.00 Uhr morgens nicht mit dem Frühstück zu rechnen brauchten. Wie gut, dass wir die Pizza auf die Hutablage gelegt hatten, sodass wir sie warm am Abend genießen konnten. Immerhin wurde das Frühstück am nächsten Morgen auf einer sonnigen Terrasse mit tollem Ausblick auf die Berge serviert. Wir hatten von Porto so viel Schönes gelesen und starteten voller Vorfreude. Allerdings erwies sich der Weg dorthin als äußerst strapaziös. Denn wenn sich die Straßen in engen Kurven aufwärts schlängeln, machen sie das auf der anderen Seite der Berge natürlich ebenfalls. Und ständig bremsen und Kurven fahren ist doch auf Dauer sehr ermüdend. Vielleicht lag es daran, dass uns Porto nicht so wirklich verzauberte. Auf jeden Fall wussten wir, dass uns am Ende des Tages ein tolles Hotel in Calvi erwartete, was wir schon vom vorherigen Urlaub kannten. Bis dahin war es aber eine sehr abenteuerliche Fahrt. Ist die Ostküste Korsikas weitläufig, so ist die Westseite sehr steil und die Straße zwischen Ajaccio im Süden und Calvi im Norden ist fast immer in den Berg hineingesprengt, sodass rechts die massive Felswand aufragt und links nur eine winzige Mauer die Begrenzung zur Steilküste darstellt. An manchen Stellen gab es kuriose Einbuchtungen in der Felswand. Was die für einen Zweck haben sollten, wurde uns wenig später bewusst. Zunächst waren wir aber von einer tollen Hupe beeindruckt, die wir immer wieder hörten. Dass sie einem großen Reisebus gehörte, merkten wir nach der Kurve um den nächsten Felsvorsprung. Er stand uns direkt gegenüber, keine Möglichkeit, so an ihm vorbeizufahren. Er machte uns deutlich, dass wir bis zur nächsten Bucht rückwärtsfahren sollten, wo wir dann aneinander vorbeikamen. Rückwärts. Auf einer solch engen Straße. Na toll! Aber wir bewiesen Nervenstärke und haben es geschafft. Und der Bus auch – dank der Einkerbungen in der Felswand. Die waren nämlich extra auf Höhe der Außenspiegel des Busses. Die paar Kilometer bis Calvi zogen sich in die Länge, da man auf den schmalen, kurvigen Straßen nur sehr langsam vorwärtskommt und immer wieder entgegenkommendem Verkehr ausweichen muss. Nach vielen – viel zu vielen Kurven – sind wir glücklich in Calvi angekommen. Der für uns schönste Ort auf Korsika, in der schönsten Landschaft Korsikas, der Balagne. Calvi liegt in einer großen Bucht, die ganz klares, flach abfallendes Wasser hat, sodass man weit hineingehen kann und mit Blick auf die wunderschöne Zitadelle im warmen Mittelmeer schwimmen kann. Ach, irgendwann wollen wir da noch einmal hin und unbedingt auch mal mit dem korsischen TGV fahren. TGV heißt ja eigentlich ‚Train à grande vitesse‘ = Hochgeschwindigkeitszug. Die Schmalspurbahn Korsikas wird wegen der maroden Gleise ‚Train à grande vibration‘ genannt. Der Zug macht nicht ganz so viele Kurven, überquert aber wunderschöne Schluchten auf eindrucksvollen Viadukten.
Sonja Seidel