„Von guten Mächten wunderbar gebor- gen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ So lautet der Text von Dietrich Bonhoeffer, den wir traditionell zum Jahreswechsel in unseren Gottesdiensten singen. „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.“ Dieser Text Dietrich Bonhoeffers, den er in einem Brief an seine Familie zu Silvester 1944 schrieb, ist so trostreich, so wahrhaftig; er verschleiert nicht die schwere Wirklichkeit, er redet nicht schön, bedient sich keiner Floskeln, die nur vertrösten mit billigem Trost, sondern er sieht das Schwere, hat es selbst durchlebt, und schaut doch weiter, hoffnungsvoll, nimmt mit und ermöglicht eine Blickrichtung, die das Leben bejaht und stärkt. Dietrich Bonhoeffer, der sich als Mitglied der Bekennenden Kirche gegen das damalige Regime des Nationalsozialismus auflehnte, wurde zum Tode verurteilt. Er saß in Flossenbürg in Haft und wusste zu dem Zeitpunkt, als er den oben zitierten Text schrieb, dass er die Seinen wohl nicht wiedersehen würde. Und dennoch – allem Augenscheinlichen, Sichtbaren, Unumkehrbaren, Lebensverneinenden und Zerstörerischen zum Trotz wird er auch für seine Mitgefangenen zu einem Halt, zu einer Stütze und zu einem Hoffnungsboten – mitten in dunklen Zeiten. Es ist erstaunlich, dass die trostreichsten Texte, die wir auch in unserem Gesangbuch vertont finden, oftmals von Menschen in sehr schweren Lebenssituationen stammen. Denken wir an den 1939 gedichteten Text von Jochen Klepper, der gerade im Advent und zur Weihnacht so trostreich und tiefsinnig ist: „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. So sei nun Lob gesun- gen dem hellen Morgenstern! Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein. … Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.“ Ebenso stärkend ist der Text Paul Gerhards (1653 in Anlehnung an Psalm 37 getextet): „Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt. Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann…“ Zum Jahresbeginn stelle ich mir einen Wegproviant mit Texten zusammen, der von Menschen stammt, die das Leben kennen, auch die tiefsten Tiefen – und zugleich Worte finden, die – gerade weil sie um das Leben wissen – glaubwürdig sind, weil sie das Schwere sehen, aber den Blick zugleich nicht nur darin verhaftet lassen, sondern meine Sicht auf die Welt weiten, heben – angesichts eines Gottes, der mehr kann als das, was wir sehen – angesichts eines Gottes, mit dem wir „über Mauern springen“ können. Mit diesem Gott an der Seite, der – wie die Jahreslosung aus Gen 16,13 sagt – uns sieht und sich als menschennaher Gott (wie wir es im Weihnachtswunder gerade gefeiert haben) zeigt, mit diesem Gott an der Seite, kann ich getrost in das neue Jahr gehen, auch wenn die Weltsituation und so vieles mehr das Herz beschweren. Mit diesem Gott und angesichts der zitierten Gedanken, die so kraftvoll und stärkend sind, kann auch ich getrost und unverzagt, ja neugierig und lebensfroh erwarten, was auch an Gutem und Schönem, ja Wunderbarem (weil Gott Wunder wirkt) kommen mag. Das wünsche ich Ihnen auch: „Von guten Mächten wunderbar geborgen“! Seien Sie behütet! Ein gesegnetes Jahr 2023 wünscht Ihnen
Pfarrerin Birgit Rengel