„Wer die Vergangenheit vergisst, ist verdammt, sie zu wiederholen.“ Dieser Satz findet sich auf einer Gedenktafel, die an ein Außenlager des KZ Buchenwald auf dem Gelände des Klosters Brunshausen bei Bad Gandersheim, erinnert (Ev. Perspektiven 3/2024, S. 24). Um dem Vergessen entgegen zu wirken, hat sich in der gesellschaftlichen Diskussion das „Nie wieder ist jetzt“ als Schlagwort verbreitet, auch an der Tür unseres Gemeindehauses ist ein derartiges Plakat zu sehen. Aber es geht nicht nur um die jüdisch-gläubigen Mitbürger, sondern um unsere Gesellschaft als Ganzes. Die Bundestagswahlen sind vorüber, und kopfschüttelnd bis entsetzt muss man zur Kenntnis nehmen, dass die AfD einen unglaublichen Aufschwung erfahren hat, obwohl in ihren Reihen Mitglieder ihre Stimme erheben, die von Gerichten bestätigt als Faschisten bezeichnet werden dürfen. Das politische Leben, nicht nur in Berlin, wird ein anderes sein müssen als vor der Wahl. Blenden wir einmal kurz zurück in das Berlin zu Beginn der Dreißiger Jahre im letzten Jahrhundert. Die damaligen demokratischen Parteien waren zerstritten und boten den Nährboden für die Radikalen von rechts und von links. Die Rechten, die Nationalsozialisten, machten das Rennen, indem sie die Konservativen umgarnten, mit ihnen eine Koalition bildeten und sie schließlich ausbooteten. Der Zusammenhalt der damaligen Demokraten zerbrach an ihrer Unfähigkeit zur Zusammenarbeit und Blindheit gegenüber der rechten Gefahr – weil man glaubte, die Linken seien noch gefährlicher. Warum dieser Ausflug in die Geschichte? Schlichtweg deswegen, weil die Lage kaum 100 Jahre später die Gleiche ist. Natürlich wiederholt sich Geschichte nicht eins zu eins – so hoffen wir jedenfalls – aber die Ausgangslage ist verblüffend ähnlich. Was hat das nun mit uns zu tun? Im Alten Testament steht die Geschichte vom goldenen Kalb, das die Menschen statt Gott anbeteten (Ex. 32, 15-20), obwohl er sie immer wieder seit dem Auszug aus Ägypten aus Not gerettet hat. Menschen driften ab vom Glauben, von bisherigen Traditionen und Verhaltensweisen, um einer vermeintlich besseren Zukunft willen. Olle Kamellen? Keineswegs, denn die Wähler sind nicht nur unzufrieden mit ihrer Lage (das wäre ja noch verständlich), sondern sie wollen das politische System grundlegend radikal verändern und damit unsere politische und gesellschaftliche Kultur, auf die wir stets stolz waren. Gewalt des Stärkeren, nicht des Besseren, soll an die Stelle von friedlichem Meinungsaustausch treten, der die Argumente des oder der Anderen zwar nicht teilt, aber toleriert. Christen sind gegen Gewalt, egal aus welchen Wurzeln sie gespeist wird. Jesus und seine Jünger, die Apostel, sie alle waren gegen Gewalt und mussten dafür meistens bitter büßen. Das Römische Reich kannte in der Verfolgung der Christen keine Gnade. Dabei ist es nur ein Baustein in der scheinbar unendlichen Auseinandersetzung zwischen Herrschern und Beherrschten.
Auschwitz ist zurecht der Höhepunkt dieser Denkweise – nicht allein wegen der Anzahl der ermordeten Menschen – sondern weil hier die Existenzberechtigung anders aussehender und anders denkender und anders glaubender Menschen infrage gestellt wird. Christen hatten leider auch eine blutige Vergangenheit, diese aber heute überwiegend überwunden, Putin ist dennoch das lebende Gegenbeispiel! Daher haben Christen ein-zustehen gegen Intoleranz und Anmaßung, gegen Fremdenhass und völkische Ideen wie der Rassereinhaltung. Nächstenliebe und Miteinander – auch bei unterschiedlichen politischen Ansichten – sind das (christliche) Gebot der Stunde, sind die viel zitierte Brandmauer gegen das Denken von Gestern! Was ist angesichts dieser Befunde zu tun? Auf der politischen Ebene heißt es nach dieser Wahl zusammenzustehen, ja zusammenzuarbeiten, um den Wählern das Gefühl zu geben, dass ihre Botschaft (hoffentlich!) angekommen ist, um ein zweites „Weimar“ zu verhindern. Das „Nie wieder“ als Auftrag für eine wirkliche demokratische Kultur mit allen Widersprüchen zu begreifen. Auf der Ebene der Mitmenschlichkeit heißt das, nicht mit Vorurteilen und dem erhobenen Zeigefinger zu agieren, sondern die Bedürfnisse der „Wutbürger“ zu hinterfragen. Warum seid ihr erbost? Was passt euch nicht? Was muss geändert werden? „Dem Volk aufs Maul zu schauen“, aber nicht jedem nach dem Munde reden. Den Menschen das Gefühl zu geben, dass Politik nicht gegen sie, sondern für sie gemacht wird. Die Verantwortung vor Gott ist untrennbar verbunden mit der Verantwortung für jeden Einzelnen, der Verantwortung für unsere Gemeinwesen, nicht nur in Berlin, sondern an jedem Ort, sei es in den Rathäusern, sei es in Vereinen und Gewerkschaften, sei es in den Kirchen. „Nie wieder ist jetzt“ ist so aktuell wie noch nie! Vergessen wir es nicht!
Manfred Stoppe