Nützlich oder moralisch

Im Roman „Der Überläufer“ von Siegfried Lenz findet sich die folgende Bemerkung: Das Moralische nützt nicht überall. Das Nützliche ist nicht immer moralisch. In diesem Roman geht es um die zentrale Frage, ob ein Mensch, in diesem Falle ein Soldat im Zweiten Weltkrieg , stets gehorsam sein muss , oder ob er angesichts der Aussichtslosigkeit der militärischen Lage desertieren und damit seine Kameraden im Stich lassen darf.

Führen wir nur Befehle aus, um möglichst ungeschoren davonzu- kommen, oder muss ich meine Überzeu- gung in die Waagschale werfen, um ein anständiger Mensch zu bleiben? Sind wir einfach nur anständige Moralisten und Herr Trump und andere Politiker wie Putin, Erdogan sind diejenigen, die nur nützlich denken, weil es ihnen Vorteile sichert, sich aber keinen Deut um Moral scheren? Oder denken auch wir manch- mal auch ohne ausdrücklichen Befehl eher an die Nützlichkeit unseres Han- delns als an die Moral? Niemand, der ehrlich zu sich selbst ist, wird sich nur als Moralist sehen, dazu ist die uns eige- ne Selbstbehauptung im persönlichen wie im gesellschaftlichen Leben viel zu wichtig. Christlich gesprochen laden wird damit Schuld auf uns, wir sündigen, weil wir beispielsweise gegen die Zehn Gebote verstoßen. Doch wollen wir nicht alle „auf der Sonnenseite“ des Le- bens stehen, unser Dasein genießen, koste es, was es wolle? Sicher, was Lenz beschreibt, ist eine gewaltige Zuspitzung der Situation eines Menschen zwischen militärischer Pflichterfüllung und Verrat. Dennoch kann man auch in weniger extremen Fällen beobachten, dass das Ich gegenüber dem Wir triumphiert.

Nicht nur im Straßenverkehr, darüber habe ich schon berichtet, ist die Rück- sichtslosigkeit an der Tagesordnung. Der moralische Aspekt, dass das Leben auf der Straße für alle Verkehrsteilneh- mer viel leichter ist, wenn man miteinan- der und nicht gegeneinander handelt, spielt nur ganz selten eine Rolle. Dass es des Öfteren sogar Prügeleien um einen Parkplatz gab, zeigt nur den moralischen Verfall und wie es um das Ego (mein Auto, mein Haus, mein berufliches Vor- wärtskommen usw.) bestellt ist. Andererseits darf man nicht nur schwarzmalen: Millionen Bürger üben in den verschiedensten Bereichen ein Ehrenamt aus. Diese selbst auferlegten Pflichten verbinden sich dabei aufs Beste mit dem moralischen Anspruch, den Menschen im unmittelbaren Umfeld etwas Gutes zu tun und damit der Kitt zu sein, der diese Gesellschaft zusammenhält. Ob Kirche, Gewerkschaft, Sportverein oder sonst irgendwo – Menschen, die sich für eine Sache engagieren, tun nicht nur Nützliches, sie handeln ebenso mora- lisch. Hinter der Sache zu stehen und sich nicht in den Vordergrund zu spielen, ist ein sehr christliches Motiv. Bescheidenheit und Demut sind zutiefst moralische Kategorien, die leider viel- fach belächelt werden. 

Oftmals werden solche Menschen als sogenannte „Gutmenschen“ verspottet oder auf Neudeutsch als „Looser“ verlacht, die es zu nichts gebracht haben, aber den mo- ralischen Zeigefinger erheben. 

In der Vergangenheit lässt sich das beispielhaft an den Umweltbewussten zeigen, die früh mit Parolen wie „Jute statt Plastik“ aufzurütteln versuchten. „Na ja, wenn die keine anderen Sorgen haben“ oder „Denen geht es wohl zu gut, dass sie auf so spinnerte Ideen kommen.“, das waren noch die harmlosesten Kommentare. Nun inzwischen, da die Verseuchung der Meere mit Plastikmüll allerorten ein Thema ist, der Verkehrsinfarkt in den Großstädten an der Tagesordnung und die Folgen des Klimawandels auch im Kleinen erlebbar sind, ist es an der Zeit, den Gedanken der Nützlichkeit und die moralische Kategorie der Bewahrung der Schöpfung miteinander zu verbinden und sich zu überlegen, wo sich die erwähnte „Sonnenseite des Lebens“ wirklich befindet. Es ist eben ein großer Irrtum, wenn nur in Gegensätzen argu- mentiert wird, entweder nützlich oder moralisch.

Die heutigen politischen Vereinfachertunsichdamitleichtunderreichen damit leider immer größere Bevölkerungskreise. Doch so einfach wie leider vorgegaukelt wird, ist das Dasein nie gewesen. 

Ein wortwörtlich naheliegendes Beispiel, wie es auch anders gehen kann, ist in unserer Gemeinde zu beobachten. Die Kirche muss nach dem Brand neugestaltet werden, aber hierbei steht nicht nur das Nützliche im Vordergrund, die Nutzbarkeit für möglichst viele Jahre oder gar Jahrzehnte. Das verwendete Material soll ebenso umweltverträglich sein und die Energiebilanz nicht unnötig belasten. Diesem moralischen Anspruch ist der Arbeitskreis „Grüner Hahn“ verpflichtet, der sich in der Gemeinde gebildet und die Nachhaltigkeit der Baumaßnahme zum Ziel hat. Gott sei Dank leben wir nicht – hoffentlich auch in Zukunft nicht – unter dem Zwang eines Nur-so-oder-so, wie es dem Soldaten in Lenz` Roman widerfahren ist. Es schadet keineswegs als Vorsatz für das beginnende Jahr, das eigene Gewissen hin und wieder zu prüfen. In diesem Sinne kann es ein gutes Jahrwerden!

Manfred Stoppe


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