Immer noch und gerade in diesen schwierigen Zeiten tun wir uns damit schwer, diese Parolen der Französischen Revolution in die Tat umzusetzen. Deshalb bedarf es dazu einiger Anmerkungen und Korrekturen aus heutiger Sicht. Während unser Grundgesetz zu großen Teilen auf diesen Begriffen fußt, haben beispielsweise die kommunistischen Regimes des 20. Jahrhunderts diese Begriffe dem Anspruch der Mächtigen entsprechend verbogen und damit ihre Macht gefestigt. Mit dieser historisch-ideologischen Last hat die Bevölkerung der ehemaligen DDR noch heute zu kämpfen. Denn die Wiedervereinigung hat die Gräben zwischen Ost und West deshalb nicht einebnen können, weil die Menschen „hüben und drüben“ unterschiedliche Vorstellungen hatten und noch heute haben. Freiheit als Möglichkeit, alles tun und lassen zu dürfen, was man will, ist eben falsch verstandene Freiheit, die die geltenden Regeln nicht anerkennen will. Freiheit ist nicht grenzenlos wie viele – übrigens auch im Westen – meinen. Allein die Reisefreiheit ist nicht das Maß aller Dinge. Martin Luther spricht bereits in seiner Schrift „Von der Freiheit eines
Christenmenschen“ nicht der unkontrollierten Freiheit das Wort, sondern der verantwortungsvollen Freiheit, die sich auch Grenzen zu setzen hat, wo es um das Wohl des Nächsten geht. Das gerade wollten die Landsknechte in den Bauernkriegen von 1524 bis 1526 nicht wahrhaben, sondern sie kämpften für eine Utopie – die absolute Freiheit von Jedermann. Die Gleichheit war im Sozialismus verordnet, und jeder wusste, dass die Lebenspraxis aus unzähligen Ungleichheiten bestand. Auch das war und ist im Westen nie anders gewesen. Gleichheit im Sinne der Menschenrechte und des Grundgesetzes: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ meint damit beispielsweise nicht Gleichheit in der Bezahlung oder im Besitz von Gütern, sondern im Respekt vor der individuellen Persönlichkeit. Erwartungshaltungen müssen mit der Realität der unterschiedlichen Lebensumstände in Einklang gebracht werden, und dazu gehören eben Unterschiede in der Ausbildung, die Vielfalt der Berufsmöglichkeiten und die freie Wahl des Arbeitsplatzes, um nur einige Bereiche zu streifen. Brüderlichkeit hieß als Kampfbegriff „Solidarität“ – mit wem oder wofür auch immer, auf alle Fälle staatlich verordnet. Echte Brüderlichkeit war im Privaten selbstverständlich gewesen, in der Familie und im Freundeskreis. Der allerdings war teilweise schon sehr speziell, denn man konnte nicht einmal sicher sein, ob die Staatssicherheit nicht einige bereits „umgedreht“ hatte und sie als so genannte „inoffizielle Mitarbeiter“ in die Kreise eingeschleust hatte. Diese zwei Seiten der Brüderlichkeit belasteten die Menschen durchaus, und man war auf der Hut, nicht dem Falschen auf den Leim zu gehen. Misstrauen allerorten, und wer zu damaliger Zeit im Rahmen des „kleinen Grenzverkehrs“ in der DDR zu Besuch war, musste sich schon überlegen, wem er oder sie seine Gefühle oder Überzeugungen anvertraute. Aber auch „im Westen“ musste man zum Teil vorsichtig sein, auch wenn das Thema eigentlich ein Tabu war. Bei einem unserer Besuche im kleinen Grenzverkehr musste ich erstaunt feststellen, was die „Grenzer“ alles schon über einen wussten und das auch, vielleicht mit einem gewissen Stolz oder mit Häme berichteten. Solidarität oder auch
Nächstenliebe ist beileibe nicht selbstverständlich, vor allem dann nicht, wenn die Zeitläufe rauer werden. Wie ist es sonst zu erklären, dass die Mitarbeit im
Ehrenamt trotz vieler Erfolgsgeschichten rückläufig ist. Vereine lösen sich auf, wie man der Lektüre der Zeitung entnehmen kann, weil die „Alten“ das Amt nicht mehr schultern können (oder wollen) und die „Jungen“ nicht in ausreichender Zahl nachrücken. Dieses Wort des Apostels Paulus in einem Brief an die Galater, Kapitel 6, Vers 2: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ ist durchaus vielen Menschen eher „lästig“, denn wie wäre sonst zu erklären, dass die Altenpflege in unserem Land zum Problem wird. Tatsächlich pflegen viele, viele Kinder ihre Eltern oder Großeltern.

Dennoch steht der „Sozialpakt“ insgesamt, wie er wohl heißt, beständig auf wackeligen Füßen, denn er kostet Geld – in einem trotz mancher Schwierigkeiten insgesamt reichen Land. Selbst in unserer Gemeinde wird sich das Problem der Lastenverteilung in Zukunft verschärfen, wenn die jetzigen Träger
des Ehrenamtes noch älter werden und die (selbst auferlegte) Last nicht mehr bewältigen können. Jüngere Nachfolger sind nicht in Sicht, es sei denn, die heutigen „Teamer“ treten in die Fußstapfen der Vorangehenden – wenn sie denn ihre Ausbildung abgeschlossen, Familien gegründet haben und noch (oder wieder) in unserer Gemeinde leben werden. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – es sollten nicht nur Schlagworte sein, sondern Verhaltensweisen, die unseren Alltag in der Nachfolge Christi bestimmen. Mit dieser Botschaft wünschen wir allen ein gesegnetes Weihnachtsfest.
Manfred Stoppe

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