Zugegeben, der Titel erscheint sehr sperrig, und es ist gleich zu Beginn der Ausführungen die Frage, ob das Fragezeichen seine Berechtigung hat oder nicht. Mit der religiösen Erziehung ist es eine verzwickte Sache. Findet sie überhaupt statt, und wenn ja, wo ist der Ort dafür? Das Elternhaus kommt dafür am wenigsten in Frage, denn das war es mit einigen Ausnahmen nie, wie ich zu behaupten wage. Selbst an meiner eigenen Person kann ich festmachen, dass die Eltern der Religion eher gleichgültig gegenüberstanden. Warum sollte also in einer materialistischen Welt, die weitestgehend bestimmt ist vom eigenen Wohlergehen und dem Kampf darum, religiöse Erziehung einen Platz haben? Die Antwort ist so einfach wie verblüffend, denn sie stammt aus einem alten Bibelwort (5. Buch Mose, 8,3), in dem es sinngemäß heißt, dass der Mensch nicht nur die leibliche Nahrung braucht, also Essen und Trinken, sondern er braucht auch „Nahrung“ für die Seele und den Geist. Die Seele verkümmert, wenn sie nicht ernährt wird durch Mitmenschlichkeit, durch Zuwendung zu Anderen, durch Liebe jeglicher Art. So wie auch der Geist verkümmert, wenn er nicht gefordert wird. Gefordert wird nicht nur im Sinne eines wissenschaftlich-technischen Fortschritts, der uns ohne Frage weit gebracht hat, sondern auch durch kulturelle Errungenschaften in der Kunst, in der Musik, aber auch im täglichen Miteinander, in der Diskussion um bestmögliche Lösungen für unser Leben. Mit anderen Worten, jeder Mensch braucht ein ethisch-moralisches Fundament. In der Vergangenheit wurde dieses Fundament in der Regel im Elternhaus gelegt, jedes Kind erlernte dort Verhaltensnormen, die sein Leben weiterhin prägten. Natürlich gibt es aus heutiger Sicht dagegen Einwände: Wer hat die Normen denn festgelegt? Wer bestimmt, was man tun darf und was nicht? Werden wir nicht mit Normen gezwungen, gegen unseren Willen zu handeln? Ja und Nein! Ein soziales Miteinander geht nicht ohne bestimmte Regeln (oder Normen). Als Beispiel dient immer der Straßenverkehr, in dem jeder Teilnehmende diesen Regeln unterworfen ist, wenn es kein chaotisches Durcheinander geben soll. Die Verfassung, unser Grundgesetz, regelt ebenfalls Grundsätze des Miteinanders (daher der zutreffende Name). Nur – und jetzt kommt der große Einwand – ist es heute vielfach so, dass die Elternhäuser entweder überfordert sind oder nicht mehr gewillt sind, verbindliche Regeln für den Nachwuchs aufzustellen. Nicht nach dem überlieferten Satz „Das macht man so“, sondern in der Diskussion mit den Kindern. Dass die (Um)- Welt sich schneller wandelt als bei früheren Generationen, wird entweder nicht wahrgenommen („Das war schon immer so“), oder dieser Wandel wird ignoriert.

Die Folge ist ein Verlust des Lebenskompasses, der nur dann behoben werden kann, wenn möglichst früh Werte und Normen vermittelt werden, die unseren Zusammenhalt und das Zusammenleben fördern. Vorbilder müssen zurechtgerückt werden: nicht der angeblich so tolle Influencer oder der coole Fußballprofi darf diese Rolle einnehmen, sondern die Menschen der ei- genen Umgebung. Erziehen und Unter- richten sind die wichtigsten nicht- materiellen Aufgaben, die den Erwachsenen zukommen. Und dazu gehört die Kenntnis der Wurzeln der Religion. Was ist Religion, warum braucht man sie, wem nützt sie? Religion als Begriff muss hier weiter gefasst werden: nicht nur die jüdisch-christliche, sondern auch die islamische beinhaltet Verhaltensmuster (ich vermeide hier bewusst den Begriff Normen), die jungen Menschen eine Richtschnur bieten, an der sie sich orientieren können.

Ein wichtiger Baustein bleibt für die Christen der Konfirmandenunterricht. Aber auch in einer zunehmend nichtchristlichen Gesellschaft muss der Raum gegeben sein, religiöse Themen zu behandeln und dadurch zu erfahren, wie weit Religion die Menschen bis heute prägt. Die zunehmend radikaleren, ja zum Teil brutalen gesellschaftlichen Umgangsformen sind letztlich eine Folge von Respektlosigkeit und Allmachtsphantasien, in denen der Nächste bestenfalls nur als Störenfried meiner Vorstellungen gesehen wird und nicht als Konkurrent um die besten Ideen. Diese von totalem Egoismus bestimmten Handlungsweisen entbehren jeglicher Moral und führen zu den leider bekannten Zerstörungsmustern. Da wird nicht haltgemacht vor fremdem Eigentum, das beschädigt oder gar vernichtet wird, wie Schmiererei- en an Hauswänden oder das „Abfackeln“ von Autos. Da wird nicht haltgemacht vor der staatlichen Ordnungsmacht, der Polizei. Da wird nicht haltgemacht vor Andersdenkenden, die zusammengeschlagen werden. Das alles ist kein Zufall, sondern die Folge von moralischer Verwahrlosung. Sicher ist unsere Gesellschaft nicht gerecht – leider! Besser kann sie aber nur werden, wenn Gerechtigkeit und Moral, wenn Nächstenliebe und Verantwortung für sich und andere von klein auf gelehrt werden. Familien, Kindergarten und Schule, Vereine und echte Vorbilder sind dazu aufgerufen, jeden Tag und überall an diesem Mammutwerk trotz mancher Rückschläge mitzuarbeiten. Auch das ist ein Beitrag zur Bewahrung unserer Schöpfung. 

Manfred Stoppe

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